Info zur Sozialklinik und Spendensammlung auf privaten Veranstaltungen

Am 16.6.19 und am 22.6.19 war der Verein zur Förderung der Sozialklinik Kalamata auf privaten Veranstaltungen in Oldenburg mit einem Stand vertreten. Sammlungen für die Sozialklinik ergaben dort jeweils Spenden in Höhe von 646 € und 1.555 €. 

Am 16.6. wurde zudem in einem Kurzvortrag über die Lage im griechischen Gesundheitswesen, die Arbeit der Solidarpraxis in Kalamata und die Tätigkeit des Vereins informiert:

Kurzvortrag zur Sozialklinik Kalamata am 16.6.19

.... Die Mitarbeiter*innen der Sozialklinik Kalamata arbeiten ohne Bezahlung, um kostenlos mit Hilfe von Spenden die medizinische Versorgung von Menschen zu gewährleisten, die keine Hilfe finden bzw. diese nicht finanzieren können.

Sparprogramm und Folgen für den Gesundheitsbereich

Die Sparvorgaben von EU und IWF nach der Finanzkrise wirkten sich im Gesundheitsbereich Griechenlands besonders verheerend aus. Das Gesundheitsbudget wurde mehr als halbiert. Danach kollabierte das Gesundheitssystem. Viele Krankenhäuser und städtische Gesundheitszentren mussten schließen, 30 000 Stellen wurden abgebaut, davon fast ein Drittel Ärzte. Das Gehalt der verbliebenen wurde um fast ein Drittel gekürzt. 18.000 Ärzte emigrierten daraufhin. Heute sind Tausende Krankenhaus-Planstellen nicht besetzt. Die noch bestehenden öffentlichen Krankenhäuser in den Städten, die traditionell die Funktion eines Hausarztes erfüllten, sind kaputtgespart:

Ganze Abteilungen sind geschlossen oder kaum funktionsfähig. In den öffentlichen Krankenhäusern können selbst lebensnotwendige Operationen erst mit monatelanger Verzögerung durchgeführt werden, Ärzte und Krankenschwestern sind völlig überlastet. Wegen fehlender Pflegekräfte betreuen oft Angehörige die Patienten. Es fehlt aber oft auch an Verbrauchsmaterialien und Medikamenten. Angehörige müssen sich zudem um Essen oder Toilettenbegleitung kümmern. Wer heute als Patient in ein öffentliches Krankenhaus geht, muss oft seine Bettwäsche mitbringen, sein Verbandszeug. Viele Geräte wurden in der Krise verkauft, um laufende Kosten zu decken. Nach Angaben von Gewerkschaftsvertretern sind 70 Prozent der verbliebenen Geräte veraltet. Große Operationen werden nur noch in großen Städten gemacht. Moderne Krebsbehandlungen sind in staatlichen Krankenhäusern z. T. nicht möglich, weil eben die modernen Geräte fehlen. Leute müssen sie in privaten Kliniken selber bezahlen. Lt. Angaben von Beschäftigten müssen die Notdienste in den großen Krankenhäusern Funktionen der allgemeinen medizinischen Versorgung übernehmen. Pro Schicht treffen z. B. in Athen im Durchschnitt 1.500 Patienten ein, was zu chaotischen Zuständen führe.

Viele Gesundheitsaufwendungen von Patienten aus eigener Tasche zu bezahlen

Millionen Griechen sind seit den Kürzungen ohne Krankenversicherung, so auch 90 % der Arbeitslosen. Für Versicherte wurde der Eigenanteil bei Medikamenten auf bis zu 25 Prozent erhöht, viele können sich ihn nicht mehr leisten, besonders chronisch Kranke . Da es eine Positivliste gibt, stiegen die Zuzahlungen der Versicherten für Medikamente durchschnittlich auf 30%, mit steigender Tendenz. Staatlichen Institutionen fehlt immer wieder das Geld, Impfstoffe oder Medikamente zu kaufen. Patienten müssen diese oft selber besorgen, immer wieder müssen sie bei verschriebenen Medikamenten in der Apotheke Vorkasse leisten. Viele Therapien und Behand-lungen müssen seit 2011 aus eigener Tasche finanziert werden, zum Beispiel bei Atemwegserkrankungen oder bei Entbindungen. Insgesamt werden über 35 Prozent der gesamten Gesundheitsaufwendungen von den Patienten aus eigener Tasche bestritten, einer der höchsten Werte in Europa. 2017 erklärte über die Hälfte der Haushalte, medizinische Beratungen und Therapien aus finanziellen Gründen hinausgezögert zu haben. Viele Kinder wurden nicht mehr geimpft, weil die Eltern das nicht finanzieren konnten. Die HIV-Infektionen haben sich verdreißigfacht, die Kindersterblichkeit ist (bis 2017) um 40 Prozent gestiegen.

Ehrenamtlich betriebene Soziale Kliniken

In dieser katastrophalen Situation entstand die Bewegung der ehrenamtlich betriebenen Sozialen Kliniken, in denen Menschen, die sonst keine Hilfe finden, kostenlos medzinisch versorgt werden. Gespendete Medikamente und Hilfsmittel, die vor Ort nicht benötigt werden, werden solidarisch innerhalb des Netzes verteilt. Das Ziel der Bewegung ist es, einerseits solidarische Hilfe zu leisten, andererseits politisch dafür zu kämpfen, sich selber überflüssig zu machen und durchzusetzen, dass die medizinische Versorgung aller Menschen durch den Staat gewährleistet wird.

Heutige Situation

Als Erstes wurde erreicht, dass auch viele Privatärzte und Labors von ihnen geschickte Patienten kostenlos behandeln. Der bislang größte politische Erfolg war jedoch, dass der Syriza-Gesundheitsminister 2016 denjenigen, die aktuell von keiner Kasse Geld erhalten, wieder Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem einräumte: Nach Vorlage einer Sozialversicherungsnummer haben sie wieder Anspruch auf Behandlung in staatlichen Krankenhäusern sowie auf Rezepte. Syriza konnte die Zustimmung von EU und IWF zur Deckung der Ausgaben für Unversicherte erreichen. Doch nicht alle Nichtversicherten werden in den Krankenhäusern angenommen, und viele haben gar nicht solch eine Nummer, z. B. Arbeitsmigranten und deren Angehörige oder Bäuerinnen, die nie außerhalb des Hofes gearbeitet haben, oder Roma oder Flüchtlinge.

Die Sozialklinik Kalamata ...

...befand sich ursprünglich in einer ehemaligen Schwesternschule, die ausschließlich mit freiwilliger Arbeit und Spenden renoviert und umgebaut worden war. Seit Eröffnung wurden über 9000 Kranke behandelt und 20.000 Untersuchungen durchgeführt. Die Sozialklinik musste schließlich diese Räume verlassen, diese werden jetzt von der Stadt genutzt. Heute wird sie in einem alten Amtsgebäude an der Fußgängerzone als Soziale Arztpraxis fortgeführt. Sie versorgt Bedürftige fürs Erste, wenn notwendig, werden dann die Kranken an das Unterstützernetz von 60 niedergelassenen Ärzten in Kalamata und Umgebung überwiesen, die dann kostenlos weiterbehandeln. Notwendige Einkäufe von leicht verderblichen Medikamenten oder von Gebrauchsmaterial und andere laufende Kosten werden durch Geldspenden finanziert. Seit 2016 kümmert sich die Sozialklinik zunehmend um die Versorgung von MigrantInnen aller Art, ob sie nun übers Mittelmeer oder aus den Balkanländern kommen. Für Kinder, deren Eltern sich eine Impfung nicht leisten können, führt sie kostenlose Impfungen durch. Zudem kommen immer mehr versicherte Patienten, die nicht imstande sind, den Eigenanteil bei der Beschaffung ihrer Medikamente sowie diejenige fachärztliche Betreuung zu bezahlen, an der es nach wie vor im Gesundheitssystem mangelt, z. B. chronisch Kranke wie z. B. Diabetiker, die ihre regelmäßigen Medikamenteneinnahme nicht mehr finanzieren können.

Der Oldenburger Verein

Seit Anfang 2016 unterstützen wir als kleiner Oldenburger Verein die Arbeit der Sozialklinik mit Geld- und Sachspenden. Es bestehen persönliche Kontakte. Spendenbeträge werden 1 : 1 an die Klinik überwiesen. Der Verein ist als gemeinnützig anerkannt, es können Bescheinigungen für das Finanzamt ausgestellt werden.

Bei einem unserer Infovorträge vor einer Oldenburger SPD-Versammlung war auch der Europaabgeordnete Tiemo Wölken anwesend. Später erfuhren wir völlig überraschend, dass er den Verein für den europäischen Bürgerpreis vorgeschlagen hatte. Und tatsächlich wurde uns dieser Preis auch verliehen – mit dem nur öffentliche Aufmerksamkeit und kein Geld verbunden ist. So gelang es uns, endlich mal in der Presse ein wenig Beachtung zu finden. Die Ärzte der Sozialklinik beglückwünschten uns zwar, wollten aber an einer Preisverleihung durch die EU in Berlin nicht teilnehmen. Sie baten uns, stattdessen ihre Erklärung vorzutragen, in der sie darauf hinweisen, dass

- sie die EU neben EZB und IWF als hauptverantwortlich für das „Kaputtsparprogramm“ betrachten,

- das dem griechischen Volk eine riesige Arbeitslosigkeit, immer weiter gehende Rentenkürzungen und andere unerträgliche Lasten auf unabsehbare Zeit gebracht habe,

- sodass sie genau dadurch ja erst gezwungen worden seien, für sehr viele Arbeitslose und andere Unversicherte wenigstens eine kostenlose medizinische Notversorgung herbeizuführen

- und in Notfällen kostenlose fachärztliche Behandlung durch niedergelassene Ärzte zuorganisieren.

Wir haben ihren Wunsch erfüllt und genau dies bei der Verleihung bekundet.

Wie geht es weiter? Wird die Arbeit der Sozialpraxis weiter notwendig sein?

Die Lage der Griechinnen und Griechen ist auch nach dem Ende der EU-Programme unverändert. Die Regierung musste sich gegenüber EU und IWF verpflichten, weiterhin einen Primär-Haushaltsüberschuss von 3,5 % zu erwirtschaften – das geht nur mit Sparen im Sozialen und mit hohen Steuern – z. B. mit 24% MwSt.

Aufgrund des vielbeschworenen Booms im Tourismus sank zwar die offizielle Arbeitslosigkeit auf ca. 19 %, es gab Tausende Neueinstellungen – doch davon den entfielen fast 60 % auf Teilzeitjobs. So etwas war vor der Krise in Griechenland fast unbekannt. Jetzt arbeitet nahezu jeder Dritte in der Privatwirtschaft in Teilzeit. Diese Beschäftigten verdienen im Durchschnitt weniger als 400 Euro im Monat. Außerdem werden immer mehr Vollzeitjobs in Teilzeit-Arbeitsverhältnisse umgewandelt. Die Zahl derjenigen, die weniger als 250 Euro monatlich erhalten, vervierfachte sich in den vergangenen neun Jahren. Dies oft ohne Sozialversicherung und Rentenansprüche, aber mit Preisen wie in Deutschland.

Sozialhilfe und aufstockendes ALG gibt es in Griechenland nicht. Was Wunder, dass die private Verschuldung in der Krise riesige Ausmaße angenommen hat: 47 % aller von den griechischen Banken vergebenen Kredite – hauptsächlich Immobilienkredite - gelten als „faul“. Die Summe dieser Kredite, die mehr als 90 Tage nicht bedient wurden, ist seit 2009 von rund 20 auf 102 Milliarden Euro angestiegen. Auch dem Fiskus schulden die Griechen fast 100 Mrd. Euro. Über 4 Millionen, d. h. 2 von 3 griechischen Steuerpflichtigen, können nicht zahlen, will heißen: sind pleite. Nicht verwunderlich, dass auch offene Stromrechnungen in Höhe von gut zwei Milliarden und offene Wasserrechnungen in Höhe von etwa 300 Millionen Euro ausstehen. Die Konsequenzen für Steuerschuldner sind dramatisch: Allein 2017 führte der Fiskus ca. 722.000 Konto-Pfändungen und 17.000 Zwangsversteigerungen durch.

Die Syriza-Regierung hat in den letzten Monaten – sehr zum Unwillen der EU-Kommission und des deutschen Finanzministers - einige Steuererleichterungen, Zahlungen an arme Rentner*innen und Rückzahlungserleichterungen für Schuldner*innen beschlossen. Trotzdem hat sie in der Wahl zum EU-Parlament ca. 10% weniger Stimmen als die Nea Dimokratia erhalten. Viele Wähler*innen sind von Syriza enttäuscht, sind nicht zur Wahl gegangen oder haben mit ungültig gestimmt. Zudem gelang es der Nea Dimokratia, zusammen mit Nationalisten, Neofaschisten und auch linken Gruppierungen eine breite Ablehnungsfront gegen den Mazedonienvertrag zustandezu-bringen, die Hunderttausende auf die Straße brachte und breit bis in Schülerkreise hineinreicht. Diese organisierten mit den Neofaschisten Schulstreiks, während sogar Mikis Theodorakis auf der Demo in Athen gegen den Vertrag Stellung bezog. Der Vertrauensverlust und der Stimmungsumschwung nach rechts wird im Juli sehr wahrscheinlich dazu führen, dass Syriza die Wahlen zum Nationalparlament verlieren wird und die Regierung in Athen an die Nea Dimokratia abgeben muss. Diese hat bereits Steuersenkungen für Unternehmen angekündigt, die nur mit weiteren Sozialkürzungen finanziert werden können. Zudem wird sie wohl den Forderungen aus Brüssel und Berlin entgegenkommen und den Schutz gegen Zwangsversteigerungen von Häusern beenden.

Ein weiterer Faktor wird der Sozialpraxis ebenfalls zu schaffen machen: Die türkische Regierung hat die Lager für syrische Flüchtlinge geschlossen. Diese müssen entweder nach Syrien zurück oder in der Türkei selber für sich sorgen. Die Fluchtzahlen nach Griechenland haben bereits zugenom-men und werden weiter steigen. Bereits jetzt sind die Lager auf den Inseln hoffnungslos überfüllt – immer mehr muss man unversorgt auf das Festland ziehen lassen.

Keine guten Aussichten für soziale Verbesserungen in Griechenland, es sei denn, die EU beendet ihren Austeritätskurs gegenüber diesem Land.

Streik in den Diagnosezentren

Eine letzte Meldung: Die privaten medizinischen Diagnosezentren in Griechenland sind ab dem 10. Juni in einen unbefristeten Streik getreten, wegen Zahlungsminderungen durch die öffentliche Gesundheitskasse. Diese wurden als Teil der Sparpakete nach der Krise eingeführt. An der Versammlung, auf der der Streik beschlossen wurde, nahmen auch die großen Ärztekammern des Landes teil. Sie fordern eine Aufstockung der staatlichen Zahlungen an die Kasse und mehr Geld für die medizinische Grundversorgung und das öffentliche Gesundheitssystem. Es ist zu hoffen, dass diese verzweifelten Signale auch in Berlin und Brüssel Gehör finden.

 

21.05.2017 Vortrag mit anschließender Diskussion: Europäische Solidarität mit Griechenland?

https://www.oldenburger-rundschau.de/2016/07/03/die-sozialklinik-kalamata-solidaritaet-gegen-not-und-hoffnungslosigkeit/

 

   
© Förderverein ehrenamtliche Gesundheitspflege in Griechenland e. V.

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