Gespräch in der KIA-Praxis in der Adeimántou-Str. 83 in Korinth am 21. 9. 2023
Anwesend sind Anthippi und Spilios von der Praxis-Initiative, Hauke von der Böblinger Solidaritätsgruppe und Anke, Elke, Jürgen und Achim vom Oldenburger Förderverein. Hauke übernimmt den schwierigen und anstrengenden Part der Übersetzung.
Themen des Gesprächs sind u.a. die veränderte Tätigkeit der Sozialpraxisinitiative, die weitere Perspektive dieser Arbeit, die gegenwärtige Unterstützung von Geflüchteten und Einheimischen, das Verhältnis von deutschen Unterstützer*innen und Praxisteam sowie die Aktivitäten des Teams nach dem Besuch
Nichts anderes übriggeblieben, als politisch zurückzustecken
Anfangs entwickelt sich ein spontanes Gespräch, das mehrere allgemein-politische Themen streift. Eines ist die Frage, warum heute das Bündnis der Sozialpraxen und -kliniken nicht mehr existiert. Spilios weist u.a. darauf hin, dass sie ursprünglich Solidarität, aber keine Caritas wollten. Vor 2015 habe es eine große Solidarität und eine Vernetzung in ganz Griechenland gegeben. Dann sei Syriza gewählt worden und man habe geglaubt, nun werde alles besser. Es sei aber gar nichts besser geworden. Tsipras habe Thatchers Leitlinie TINA übernommen – there is no alternative – und die Troika-Vorgaben exekutiert. Das habe die Leute frustriert, und viele hätten deswegen resigniert.
Auch ihrer Sozialpraxis-Initiative sei schließlich nichts anderes übriggeblieben, als politisch zurückzustecken – und sich vorläufig auf Caritas zu verlegen. Anthippi ergänzt, gegenwärtig könnten sie nichts anderes tun, als das Geld, das sie als Spenden erhielten, zur Versorgung von notleidenden Geflüchteten mit Sachmitteln auszugeben. Unterstützung für Flüchtlinge sei zur Zeit nur karitativ und nicht politisch möglich.
Spilios verabschiedet sich schließlich, um zu einem Patienten zu gehen. Die Besucher*innen setzen das Gespräch mit Anthippi fort.
Gegenwärtige Arbeit des Praxis-Teams und Nachdenken über Perspektiven
Anthippi berichtet, dass die Initiative sich – neben der Versorgung der Flüchtlinge – außerdem darauf konzentriere, Medikamente zu sammeln und diese dem Sozialamt der Stadt zukommen zu lassen, welches sie dann an bedürftige Menschen, die sich keine Medikamente leisten können, weiterleite. Regelmäßig komme dazu ein Apotheker vorbei, der die gespendeten Medikamente prüfe und sortiere.
Hauke spitzt schließlich das Gespräch über die heute eingeschränkten Möglichkeiten der Solidarität so zu: „Habt ihr unter diesen Bedingungen überhaupt Lust, weiterzumachen?“ Anthippi antwortet, sie wisse es nicht. Aber andererseits wollen sie die Praxis nicht dichtmachen, denn dann sei sie endgültig verloren. Die ganzen Genehmigungen und Papiere für den Betrieb würden dann ihre Gültigkeit verlieren und seien kaum aufs Neue wiederzuerlangen. Es könne nämlich sein, dass sich in Kürze die Notwendigkeit und die Nachfrage nach einer Sozialpraxis wieder neu ergebe. Es könne wieder zu einer Notsituation wie in 2015 kommen, und dann gäbe es aber nichts mehr, womit Hilfe organisiert werden könne. Deshalb denken sie, sie machen die Praxis nicht zu, sondern sie machen weiter. Jedes Jahr im Oktober gebe es eine Versammlung der Mitglieder des Trägervereins der Sozialpraxis. Dort solle über die Frage des Weiterarbeitens gesprochen werden.
Ansonsten würden sie auch weiterhin in anderen Notfällen helfen. Wenn z. B. Kinder geimpft werden müssten und Eltern dies nicht bezahlen könnten, würden sie die Impfung übernehmen. Doch das sei nicht eine kontinuierliche Tätigkeit, sondern ergebe sich von Fall zu Fall.
Unterstützung von Geflüchteten
Nach dem Einkauf für das Lager
Anthippi weist darauf hin, dass ihre Unterstützung von Geflüchteten nun unter veränderten Bedingungen stattfindet. Gegenüber unserem letzten Besuch im Flüchtlingslager habe sich eine neue Situation ergeben: Früher sei dort eine medizinische Station des Roten Kreuzes gewesen. Diese sei aufgelöst worden. Geflüchtete aus dem Lager dürften jetzt das örtliche Krankenhaus aufsuchen. Medikamente würden sie deshalb jetzt nicht mehr für das Lager bereitstellen. Früher habe die notwendigen Rezepte dafür der Arzt des Roten Kreuzes im Lager ausgestellt, der ja nun nicht mehr da sei.
Gegenwärtig bemühe sich die Initiative darum, Schulsachen für die Flüchtlingskinder zu besorgen, aber auch immer wieder Gebrauchswaren des täglichen Bedarfs wie zum Beispiel Waschmittel. Sie hätten Kontakt zur örtlichen Präsidentin der Sektion Korinth des Griechischen Roten Kreuzes, und die teile ihnen mit, was die Geflüchteten im Lager jeweils gerade notwendig brauchten. Für Weihnachten planen sie, kleine Geschenke und weiterhin Schulsachen zu besorgen. Daneben sollen weiter Bedarfsartikel wie z. B. Windeln oder Trockenmilch geliefert werden. Die früheren Aktionen seien immer im Bild festgehalten worden – das können sie auch bei den zukünftigen Hilfsaktionen tun. Wir Unterstützer*innen aus Deutschland begrüßten dies, da es hilft, Leute über die Verwendung der Spenden zu informieren.
Was wir wollen
Anthippi reagiert schließlich auf unsere Fragen, was wir konkret aus Korinth in Oldenburg berichten sollen, mit einer Gegenfrage: „Was wollt ihr denn von uns? Sollen wir die Flüchtlinge weiterhin karitativ unterstützen oder was sollen wir mit den von euch weitergeleiteten Spenden machen?“ Achim entgegnet, jegliche Hilfe für Flüchtlinge sei in diesem rassistischen Klima schon ein politisches Statement für ein humanes Miteinander, deshalb begrüße er es, dass die Spenden für die Flüchtlinge verwendet werden. Ansonsten sei es aber ihre Entscheidung – und nicht die der deutschen Unterstützer*innen -, für wen und wie das Geld eingesetzt werde.
Anthippi fragt nach: „Kann es also auch für griechische Bedürftige ausgegeben werden?“ Hauke bestätigt die Zustimmung der Gäste dafür – und dass wir uns freuen würden, wenn die Korinther auch wieder über politische Einsätze nachdenken würden. Doch Anthippi entgegnet, dass gegenwärtig keine politischen Aktionen wie früher geplant seien, dass sie aber weiterhin Hilfe im Kleinen leisten wollen.
Nicht Kontrolle, sondern Ermutigung
Jürgen bekundet, dass die deutschen Unterstützer*innen keine „Buchhalter“ der Tätigkeit der Korinther Initiative seien, alles, was sie tue, liege allein im Ermessensspielraum der Initiative. Elke betont noch einmal, dass die Unterstützer*innen nicht aus Kontrollgründen nach Korinth gekommen seien. Sie sei Psychotherapeutin und treffe bei ihrer Arbeit viele prekär lebende Menschen. Sie habe die Idee einer solidarischen Praxis sehr sympathisch gefunden. Sie habe solche Hilfe nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern unterstützen wollen. Das sei der Grundgedanke gewesen – ein Gedanke der Solidarität -, und zusätzlich noch Verbindungen innerhalb Europas zu schaffen.
Anthippi erwidert, sie habe unsere Aktivität nicht als Kontrolle verstanden, sondern als Ermutigung, weiterzumachen. Sie sieht folgende Gemeinsamkeit: Was hier in Griechenland geschehe, an Durchsetzung von Memoranden, Demütigung und Verarmung, das sei ein Experiment. Gelinge dieses hier, werde es auch in den großen Ländern angewendet, in Frankreich, Deutschland usw. Und das sei auch die Basis der Solidarität. Der persönliche Kontakt mit den Oldenburger*innen und Böblinger*innen sei ihr wichtig, denn über facebook etc. sei kein tiefgreifender Kontakt möglich. Das könne nur auf persönlicher Ebene geschehen. Deshalb sei ihr die Begegnung wichtig. Die Besucher*innen betonen, dass sie ihnen ebenfalls wichtig sei.
Anthippi schließt mit den Wünschen, dass man bei zukünftigen Begegnungen besser in ein ansprechenderes Ambiente, in ein offenes Lokal zum Beispiel, gehen solle und dass die Gäste mehr Zeit mitbringen sollten: Gut wäre es, wenn sie um ein Uhr kämen und den ganzen Nachmittag da bleiben würden. Dann könne man sich auch besser austauschen.
Aktivitäten nach dem Besuch
Im November traf sich der Trägerverein der Sozialpraxis Korinth beschloss, dass alles so weitergeführt werden soll wie bisher.
Anthippi informierte schriftlich darüber, dass jetzt Flüchtlinge aus Lagern im überschwemmten Thessalien ins Korinther Lager transferiert würden. „Die Präsidentin der Sektion Korinth des Griechischen Roten Kreuzes, die auch eine Freundin und auch ehrenamtlich tätig ist, teilte uns mit, dass es viele Nachfragen nach Bedarfsartikeln gebe und dass sie einige Dinge versuchen wird, aber nicht im Geringsten kann sie die Bedürfnisse erfüllen. Also werden wir auch helfen, indem wir alles kaufen, was sie von uns verlangen. Heute werden sie uns ein Papier mit den bestehenden Bedürfnissen schicken.“
Aus- und Einpacken im Lager
Kurz darauf kam die Meldung: „Von den gegenwärtig über 700 Menschen im Lager sind viele Kinder. Tatsächlich sind 50 von ihnen bis zu 2 Jahre alt. Sie brauchen Windeln, Milch, Hygieneartikel, Waschpulver, Medikamente usw. Also haben wir gestern ein paar Sachen eingekauft und heute zusammen mit der Kleidung ins Camp gebracht. Sie haben begonnen, Antibiotika zu benötigen. Im November werden wir wieder verschiedene Dinge zu ihnen bringen, wobei wir uns mehr auf die Bedürfnisse der Kinder konzentrieren.“
Alles gut im Lager-Container untergebracht
Gespräch in Kalamata über Umgang mit Geflüchteten und Lage im Gesundheitswesen
Am 20. 9. 2023 trafen sich die Mitglieder des Oldenburger „Fördervereins ehrenamtliche Gesundheitspflege in Griechenland“ Anke, Elke, Jürgen und Achim mit der Rechtsanwältin Chrysa, der Vorsitzenden der „Antifaschistischen Bewegung Kalamata“, mit dem Arzt Michalis – ebenfalls in der Initiative aktiv – und mit den Mitgliedern der Böblinger gewerkschaftlichen Griechenland-Solidaritätsgruppe Theodora und Hauke. Themen des Treffens waren Entstehung und Wirken der „Bewegung“, der Umgang mit Geflüchteten und Möglichkeiten der Hilfe sowie die Lage im Gesundheitswesen.
Bericht über das Treffen siehe hier